Februar

1  Die Kleidung, welche die Brüder erhalten, soll der Lage und dem Klima ihres Wohnortes entsprechen;
2  denn in kalten Gegenden braucht man mehr, in warmen weniger.
3  Darauf zu achten ist Aufgabe des Abtes.
4  Unserer Meinung nach genügen in Gegenden mit gemäßigtem Klima für jeden Mönch Kukulle und Tunika,
5  die Kukulle im Winter wollig, im Sommer leicht oder abgetragen,
6  für die Arbeit ein Überwurf und als Fußbekleidung Socken und Schuhe.
7  Über Farbe oder groben Stoff dieser Kleidungsstücke sollen sich die Mönche nicht beschweren; man nehme alles so, wie es sich in der Gegend, wo sie wohnen, findet, oder was man billiger kaufen kann.

Auszug aus der 55. Regel des Hl. Benedikt

 

Amelungsborn gehört sicherlich zu den kälteren Gebieten, in denen es Zisterzienser Klöster gab und gibt. So war die Bearbeitung von Wolle ganz gewiss eine wichtige Beschäftigung in der Abtei auf dem Odfeld.

Um aus Schafwolle ein Wolltuch zu gewinnen, waren im Mittelalter und in den Jahrhunderten danach mehrere Schritte nötig. Im Prinzip hat sich das bis in die Gegenwart hinein erhalten. Diese waren:

1. Die Schafschur,
2. das Waschen der Wolle,
3. das Färben mit pflanzlichen oder aus Mineralien gewonnenen Farben,
4. das Rupfen der Wollbündel
5. das „Karden“ = Kämmen und danach
6. das Spinnen.

Das Ergebnis sind Fäden, die sich mit verschiedenen Techniken weiter verarbeiten lassen.

Im Verlaufe dieses Prozesses spielte eine Pflanze aus dem Klostergarten eine wichtige Rolle:

Die Wilde Karde

(Dipsacus fullonum, Kardengewächse, Dipsacaceae, zweijährig) (Abb. 1)

Abb. 1: Der Fruchtstand der Karde
Abb. 1: Der Fruchtstand der Karde

Der Fruchtstand der Karde diente dem Kämmen der Wolle, um sie spinnfähig zu machen. (Seit mehr als zwei Jahrhunderten übernehmen Maschinen diese Aufgabe.)

Als noch geeigneter zur Wollbearbeitung gilt die Weberkarde (Dipsacus sativus), die allerdings in Europa keine Vorkommen mehr zu haben scheint.

Die Wilde Karde (Dipsacus fullonum) ist eine 50 bis 200 cm hohe zweijährige Pflanze.
Sie hat ein ähnliches Aussehen wie die Distel, ist aber mit ihr nicht verwandt: Die Distel ist ein Korbblütler, wie z.B. die Kamille und die Ringelblume, die Wilde Karde aber gehört den Kardengewächsen (Dipsacaceae) an, zu denen verschiedene Grindkräuter (Scabiosae) gezählt werden.

Die Heimat der Wilden Karde ist der Mittelmeerraum. Sie ist in Europa bis zu einer Höhe von etwa 1.200 m zu finden, liebt Wegränder, feuchte Gründe aber auch Schuttfelder und kalk- sowie stickstoffreiche Böden.

Im ersten Jahr bildet sie eine Blattrosette, aus der sich dann im folgenden der stachelige Stängel sich erhebt.

Die Blühzeit ist Juli bis August. Dabei zeigt sie ein überraschendes Phänomen: Zunächst bildet sich in der Mitte des Fruchtstandes ein lila Blütengürtel. Dieser teilt sich sodann und wandert getrennt nach oben zur Spitze hin und nach unten.

Die Blüten werden von Schmetterlingen und anderen Insekten gern aufgesucht.

(Abb. 2: Die Karde im Winter)
(Abb. 2: Die Karde im Winter)

Nach der Blüte, während sich die Samen ausbilden, scheint der Fruchtstand abzusterben. Ab Herbst ist die Karde eine dekorative Trockenpflanze, die in der Floristik ein beliebter Bestandteil von Herbst- und Winterkränzen ist. (Abb. 2)

Als Heilpflanze führt die Wilde Karde eher ein Schattendasein. In der Volksmedizin wurden Tinkturen aus der Wurzel bei Hautrissen, Furunkeln und anderen Hauterkrankungen eingesetzt.
Die Inhaltsstoffe sind Glykosid, Scabiosid, Terpene, organische Säuren, Iridoide, Saponine und Gerbstoffe.

Gegen Rheuma und bei Leberbeschwerden wurde Tee aus Wurzel und/oder Blättern angewendet.
In mehreren Publikationen wird neuerdings auf die Heilwirkung der Wilden Karde bei Borreliose abgehoben.

Allerdings muss darauf hingewiesen werden, dass es noch keine wissenschaftlichen Nachweise für die Wirksamkeit als Heilpflanze gibt.

Der botanische Name „Dipsacus“ leitet sich vom griechischen „dipsa“ = Durst ab.
In der Verbindung mit der Beobachtung, dass direkt an dem Stängel die dort befindlichen Stängelblätter in einer Weise verwachsen und verbunden sind, die kleine gefäßähnliche Vertiefungen bilden, in denen sich Regenwasser sammelt, leitet eine Reihe von Autoren ab, durstige „Wanderer“ hätten sich mit diesem dort aufgefangenen Wasser erqicken können.

Der früher ebenfalls gebräuchliche Name „labrum veneris“ = Venusbad gibt zu weiteren anregenden Gedanken Anlass: Das in der Pflanze gesammelte Wasser verleihe Mädchen, sobald sie ihr Gesicht damit benetzen, Schönheit.
Und obendrein lasse es Sommersprossen verblassen.

Jedenfalls: Das Zunftwappen der englischen Tuchmacher zeigt drei sich überkreuzende Karden.

Achtung! Von unkontrollierter Selbstmedikation mit Karde wird dringend abgeraten

(Text und Fotos: Familiare Joachim Franke)

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