Der Altar in der Taufkapelle der Amelungsborner Klosterkirche – eine Auftragsarbeit des norddeutschen Künstlers Erich Klahn für Christhard Mahrenholz

  • Christhard Mahrenholz (1900-1980) war evangelischer Kirchenmusiker und Theologe. Er studierte Kirchenmusik und evangelische Theologie in Leipzig und Göttingen, trat nach Studium und ersten Berufsjahren in die Kirchenleitung der hannoverschen Landeskirche ein und machte dort Karriere. Er verantwortete seit den 30er Jahren den Bereich der Kirchenmusik und wurde 1965 leitender geistlicher Vizepräsident des Landeskirchenamts.

  • Christhard Mahrenholz‘ Leidenschaft galt vor allem der Orgel, der Kirchenmusik und der Liturgie. 1960 wurde er Abt des Klosters Amelungsborn, das nach Zerstörungen im Zweiten Weltkrieg als Tagungsstätte wiederaufgebaut wurde.

  • Erich Klahn (1901-1978) war ein norddeutscher bildender Künstler, dem Nähe zur völkisch-niederdeutschen Bewegung vorgeworfen wird. Viele seiner Werke stehen in einem politischen Kontext. Neben Gemälden, Teppichen und anderen Kunstwerken für private und öffentliche Auftraggeber schuf E. Klahn auch Kunstwerke für den kirchlichen Gebrauch. Ein besonderer Fall ist das im Südschiff der Amelungsborner Klosterkirche Sankt Marien befindliche Triptychon, das zentral die Begegnung des Jüngers Thomas mit dem auferstandenen Christus zeigt, denn es ist eine private Auftragsarbeit für Chr. Mahrenholz.

Entstehungsgeschichte des Altars

  • Christhard Mahrenholz und Erich Klahn lernten sich bei Fritz Schmidt (1886-1977) in Celle kennen. Fritz Schmidt war Lehrer und Organist an der Stadtkirchengemeinde und leitete die Stadtkantorei. Fritz Schmidts Tochter Barbara heiratete nach dem II. Weltkrieg Erich Klahn.

  • Bei den Celler Treffen muss Chr. Mahrenholz E. Klahn um die Anfertigung eines Altars für seine private Wohnung gebeten haben. Dieser Altar entstand in den Jahren 1928-1930 (Skizzen im Archiv der Klahn-Stiftung in Mariensee und Angaben im Briefwechsel Erich Klahns lassen eine Fertigstellung erst 1932 vermuten). Von Erich Klahn wird der Altar „Hausaltar“ genannt, die Bezeichnung „Thomas-Altar“ geht weder auf Mahrenholz noch auf Klahn zurück, sondern wurde dem Altar erst später zugeschrieben.

Bildprogramm

  • Die Außenseiten der Altarflügel, die Holzschnitzereien aufweisen, beziehen sich auf zwei biographische Stationen im Leben des jungen Christhard Mahrenholz:

  • Der linke Flügel zeigt außen die auf der Mondsichel stehende Maria als Schnitzwerk. Hinweis auf die erste Pfarrstelle Christhard Mahrenholz‘ als „pastor collaborator“ an der Kirche Sankt Marien in Göttingen (1925-1926). An dieser Kirche restaurierte Chr. Mahrenholz die Kirchenorgel nach den Idealen, die in der Orgel(reform)bewegung in den 20er Jahren (wieder)entdeckt worden waren. In der Kirche befindet sich eine mittelalterliche Mondsichel-madonna, zu der die Marienfigur des Mahrenholzaltars große Ähnlichkeit zeigt.

  • Der rechte Flügel zeigt außen geschnitzt Sankt Michael, der, auf dem Drachen stehend, diesem die Lanze ins Maul stößt. Hinweis auf den Ort der Ordination Chr. Mahrenholz‘ in Sankt Michaelis in Hildesheim (1925). An St. Michael fällt auf, dass er leicht in den Knien gebückt steht, ähnlich dem Thomas auf dem Mittelbild. Auch die Gesichtszüge ähneln sich.

  • Die Innenseiten der Altarflügel und das Mittelbild lassen sich ebenfalls Stationen und Beziehungen aus dem Leben Christhard Mahrenholz‘ zuordnen:

  • Innenseite des linken Altarflügels: Sie zeigt die Taufe Jesu im Jordan. Durch die Ähnlichkeit des Johannes mit Hans Henny Jahnn (Körpergröße, Haaransatz, -farbe und -schnitt, Gesichtsausdruck, Namensanalogie Hans-Johannes), könnte in der Szene die Wiederentdeckung der Arp-Schnitger-Orgel in der Hamburger Kirche Sankt Jakobi durch H.H. Jahnn gesehen werden (um 1920). Hans Henny Jahnn (1894-1959) gehörte zur Orgelbewegung, ohne ihn wären die Orgeln des frühbarocken Orgelbaumeisters Arp Schnitger (1649-1719) unentdeckt geblieben. Von Arp Schnitger existieren keine zeitgenössischen Abbildungen, er kann von daher im Jesus in der Taufe („norddeutscher“ muskulöser Körperbau eines Handwerkers, blonde Haare) gesehen werden. Chr. Mahrenholz kannte Hans Henny Jahnn wegen der Schnitger-Orgel und wegen dessen Schriften zum Orgelbau. In H.H. Jahnns Verlag „Ugrino“ wurden in den 20ern die Orgelwerke des Komponisten Samuel Scheidt neu herausgegeben. Mit Samuel Scheidt (1587-1654) hatte sich Chr. Mahrenholz in seiner Doktorarbeit befasst. Scheidt gilt als einer der bedeutendsten evangelischen Organisten im nachreformatorischen Zeitalter. Anders als von Arp Schnitger gibt es von Scheidt Abbildungen, die ihn mit der Barttracht des 15./16. Jahrhunderts zeigen.

  • Mittelbild: Rücken an Rücken mit Johannes (Hans Henny Jahnn) steht auf dem Mittelbild ein Jünger, der eine solche frühneuzeitliche Barttracht trägt. Damit kann im Jünger ganz links auf dem Mittelbild Samuel Scheidt gesehen werden.

  • Dieser Jünger (Samuel Scheidt) steht links und legt seine rechte Hand auf die Schulter des Jüngers neben ihm. Der wiederum zeigt in Körpergröße (er ist hochgewachsen und steht deswegen mit gebeugten Knien) und in Gesichtszügen deutliche Ähnlichkeit mit Christhard Mahrenholz. Das stärkste Indiz ist die blaue Farbe der Iris, die bei genauer Betrachtung auffällt, denn auch Chr. Mahrenholz hatte blaue Augen. Keine weitere Person auf dem Altar hat diese Augenfarbe. Für die Identifizierung des Thomas mit Chr. Mahrenholz spricht auch die Position auf dem Gemälde. Der Thomas steht dort, wo auf mittelalterlichen Altarbildern üblicherweise der Stifter, hier also Chr. Mahrenholz, dargestellt worden wäre.

  • Auf der anderen Seite des auferstandenen Christus steht ein Jünger, dessen Gesichtszüge Ähnlichkeit mit Günther Ramin (1898-1956) aufweisen. G. Ramin war Thomasorganist in Leipzig und gehörte ebenfalls zur Orgelbewegung. Er war seit Studientagen in Leipzig eng mit Chr. Mahrenholz befreundet. Mitte der 20er Jahre spielte G. Ramin die sog. „Ugrino-Konzerte“ auf der Hamburger Arp-Schnitger-Orgel. Daher war er mit H.H. Jahnn bekannt.

  • Neben dem Jünger zur linken Christi (alias Günther Ramin) zeigt der Jünger außen rechts starke Ähnlichkeit mit Hugo Distler (1908-1942). Distler war Orgelschüler Ramins in Leipzig und (seit 1931) Organist an der Lübecker Jacobikirche. Öffentliche Aufmerksamkeit erhielt Distler für seine Kompositionen, die im Bärenreiter-Verlag erschienen.

  • Die Innenseite des rechten Altarflügels zeigt den Hl. Martin, der auf dem Pferd seinen Mantel mit dem Bettler teilt. Der Hl. Martin hat Ähnlichkeit mit Karl Vötterle (1903-1975), dem Gründer des Bärenreiter-Verlags. Dieser steht - ganz ähnlich wie H.H. Jahnn und Samuel Scheidt auf der gegenüberliegenden Seite – Rücken an Rücken mit Hugo Distler. Die Kirche in Adelebsen, dem Geburtsort Mahrenholz‘ an der sein Vater Pastor war, ist als St. Martini-Kirche dem Heiligen Martin geweiht und zeigt prägnante liegende Fachwerkkreuze im Turm.

  • Der Bettler selbst zeigt eine gewisse Ähnlichkeit mit Heinrich Schütz (1585-1672). Dessen Werke wurden in den 20er Jahren in Vötterles Bärenreiter-Verlag neu herausgegeben, eine Parallele zu Samuel Scheidt, dessen Werke im Ugrino-Verlag zur selben Zeit neu erschienen mit Chr. Mahrenholz als Herausgeber.

  • Karl Vötterle und Fritz Schmidt waren Mitbegründer der Neuen Schütz-Gesellschaft (gegründet 1930), Chr. Mahrenholz war dort Mitglied.

  • Vermutlich kannte Erich Klahn Hugo Distler aus Lübeck. Abbildungen von Scheidt und Schütz kannte er von Fritz Schmidt in Celle. H. H. Jahnn und G. Ramin hat E. Klahn vielleicht bei den Konzerten in Hamburg oder bei der Orgeltagung 1925 in Lübeck gesehen, ebenso könnte er Fotos, die er von Chr. Mahrenholz erhalten haben könnte, als Vorlage genutzt haben.

  • Christhard Mahrenholz hat sich von Erich Klahn - so kann vermutet werden - eine Darstellung der Orgelbewegung, des evangelischen Organisten Samuel Scheidt als dem Thema seiner Promotion und des Komponisten Heinrich Schütz gewünscht.

    H. Meyn-Hellberg, M.A.

Prof. Dr. Klaus Fitschen, Leiter des Instituts für Kirchengeschichte und Professor für Neuere und Neueste Kirchengeschichte an der Universität Leipzig meint:

„Kunstwerke, die Teile von Altären sind, sprechen in der Regel in den öffentlichen Raum hinein: Sie erreichen Mönche, Nonnen, Gemeindeglieder und Touristen. Dieser Altar war ursprünglich gerade dafür nicht gedacht, denn er sollte seinem Auftraggeber zur Pflege seiner privaten Frömmigkeit dienen. Die Bilder, die jetzt für viele zu sehen sind, hat ursprünglich also nur einer gesehen, vielleicht im Kreise seiner Familie oder seiner Freunde. Darum ist es nicht unwahrscheinlich, dass diese Bilder Menschen aus dem geistigen Umkreis des Auftraggebers zum Vorbild haben –  jedenfalls ist es wahrscheinlicher, als dass diese Bilder ideologischen Charakter haben könnten. Und auch wenn also der Künstler zur gleichen Zeit und an anderen Orten Werke schuf, die dem völkisch-nationalistischen und zunehmend nationalsozialistischen Geist der Zeit verpflichtet waren, ist dies hier auszuschließen. Entscheidend ist ja doch die Interpretation des künstlerischen Gesamtprogramms, nicht die isolierte Betrachtung von einzelnen Motiven. Es lohnt sich also, in den Gesichtern der Dargestellten zu lesen und sich mit diesem Informationsblatt auf eine musikgeschichtliche Entdeckungsreise zu begeben."

Abbildungsnachweise

Fotografien des Altars und der Monsichelmadonna Marienkirche Göttingen durch den Verfasser

Bildrechte, sofern nicht aus der Literatur: Verwertungsgesellschaft Bild-Kunst (VG-Bild-Kunst), Bonn, 2016

Abbildung Christhard Mahrenholz um 1930 in: SUMMEREDER, Roman: Aufbruch der Klänge. Materialien, Bilder, Dokumente zu Orgelreform und Orgelkultur im 20. Jahrhundert, Innsbruck 1995, S. 103


Abbildung Günther Ramin 23 Jahre in: RAMIN, Charlotte: Weggefährten im Geiste Johann Sebastian Bachs. Karl Straube und Günther Ramin. Zwei Thomaskantoren 1918-1956, Darmstadt 1981, o. S.


Abbildung Hugo Distler in Lübeck 1931/32 in: GRABNER, H.; HERRMANN, U.; MESSMER, F.; PONTZ, S.; THEIN, W. (Hgg.): Hugo Distler, Komponisten in Bayern, Band 20, Tutzing 1990, S. 41


Abbildung Hans Henny Jahnn, um 1925 (Foto: Franz Rompel) in: BÜRGER, Jan; HIEMER, Sandra (Hgg.): Hans Henny Jahnn. Liebe ist Quatsch. Briefe an Ellinor, Hamburg 2014, S. 13


Abbildung Karl Vötterle in: http://regiowiki.hna.de/Datei:Vötterle.jpg [(CC BY-NC-SA 2.0) https://creativecommons.org/licenses/by-nc-sa/2.0/legalcode] abgerufen am 12. September 2016