Die Borsdorfer Renette - Ein Zisterzienserapfel

Die Borsdorfer Renette - Ein Zisterzienserapfel
Burgund
Borsdorf

In den mittelalterlicher Klöstern kam dem nicht zuletzt von den Zisterziensern intensiv geförderten Anbau von Obst, Gemüse und Heilpflanzen zur Gewinnung lebensnotwendiger Nahrungsmittel und Medikamente existentielle Bedeutung zu. Der stark eingeschränkte Fleischverzehr bedingte die Selbstversorgung mit pflanzlicher Kost, und das Heilwesen war noch weitgehend auf die Klöster beschränkt. Man tauschte mit den Samen und Pflanzen heimischer und mittelmeerischer Provenienz die notwendigen Fachkenntnisse zur Vermehrung, Pflege und Düngung aus und gab sie an neue Gründungen weiter (Hennebo/ Die Zisterzienser).

Hierzu sei beispielhaft die Zisterze Morimond genannt, jene 1115 gegründete und von der Urabtei Citeaux bei Dijon 1157 zur 4. Primar­abtei erhobene Niederlassung des Ordens, die bald selbst Mutterkloster von über 200 Abteien in ganz Europa werden sollte, darunter sämtlicher bayerischer und österreichischer Zisterzienserklöster. Morimond lag vor der 1791 erfolgten Vertreibung des Konvents und anschließenden Zerstörung der Klosteranlagen nördlich Dijon in der Landschaft Bassigny mit der Diözese Langres im Mittelpunkt Burgunds, dem zentralen Landstrich des östlichen Frankreichs, der sich als die Wiege der klösterlichen Reformbewegungen des Mittelalters, auch des Zisterzienserordens, darstellt (L ThK).

Der Gartenbau scheint in Morimond mit besonderer Hingabe gepflegt und mit Erfolg betrieben worden zu sein, denn die Überlieferungen lassen die Kultur und Weiterverbreitung zahlreicher Pflanzenarten innerhalb seiner Filiationen nach dem niederrheinischen Camp, Walkenried, Pforta (Schulpforta) und weiter nach Mittel- und Osteuropa erkennen (Schneider). Besondere Erwähnung verdienen die Erfolge in der Obstkultivierung, und zwar von zwei noch bis in jüngste Zeit in Streuobstwiesen und an öffentlichen Verkehrswegen angebauten Apfelsorten: der Grauen französischen Renette und dem Borsdorfer Apfel (Sternschulte). Beider gut belegte Herkunft, die nur bei wenigen älteren Obstsorten ausfindig zu machen ist, aus den Obstgärten der mittelalterlichen Zisterzienserabteien Burgunds lässt in ihnen Stamm­sorten der heute zahlreichen Familie der Renetten vermuten. Die Haltbarkeit und vielseitigen Verwendungsmöglichkeiten dieser Früchte förderten ihre Verbreitung und Weiterzucht.

Die Graue französische Renette wurde bereits in der Öffnet einen internen Link im aktuellen Fenster1. Folge der Amelungsborner Miniaturen vorgestellt. Ein Exemplar im südöstlichen Winkel des Amelungsborner Kräutergartens inmitten der aus Altertum und Mittelalter bekannten Küchen-, Heil- und christlichen Symbol­pflanzen steht als Repräsentant der herausragenden Gartenkultur des Zisterzienserordens jener Zeit.

Bei der Borsdorfer Renette handelt es sich um eine typische Lokalsorte (Grimm). Ihr über Jahrhunderte unveränderter Name verweist auf die Grangie Borsendorf, dem späteren Dorf Borsdorf bei Leipzig, die dem ostthüringischen Zisterzienserkloster Pforta bei Naumburg gehörte (Die Zisterzienser). Vermutlich handelt es sich beim „Borsdorfer“ um die Veredelung einer in Bassigny heimischen Sorte, die auf dem üblichen Filiationsweg in den Westen verbracht wurde, wo den magistri pomerii Weiterzüchtungen wie die Doberaner und andere Borsdorfer Renetten gelangen (Aigner), so im Kloster Doberan, das bereits 1273 zu diesem Zweck ein Gewächshaus besaß (Schneider).

Johann Kaspar Schiller beschrieb den Apfel 1795 in seiner Baumzucht im Großen: „Borsdorfer, Borstorffer oder Borstorper. Ist ein Apfel von mittelmäßiger Größe und runder, etwas platter Form. Seine Schale ist glatt, eben, glänzend und wenn er reif oder eßbar ist, gelblicht, und manchmalen hier und dar mit einigen braunen, rauhen Flecken besezet, zuweilen auch an der Sonnenseite in etwas schön hellroth; überdem hat er manchemalen hier und dar einige kleine braune Warzen. Sein Fleisch ist ziemlich mild, von angenehmen, feinem Geschmack. In Deutschland, wo dieser Apfel ursprünglich herkommt, ist er der erste und vornehmste von allen Winteräpfeln.“

Davon schwärmt bereits eine ältere Quelle, die zugleich den verbreiteten Anbau in der Mark Meißen bestätigt:

„Gusto vehementer suavi et generoso, odorem spirat gratum. In Misnia colunter et pro saporis nobilitatem caeteris omnibus praeferentur." (Fischer) - Übersetzung: Im Geschmack sehr süß und edel, verströmt er einen lieblichen Duft. Er wird in Meißen angebaut und wegen seines vortrefflichen Aromas allen übrigen Sorten vorgezogen.

Auch die Borsdorfer Renette hat seit Frühjahr 2005 im Amelungsborner Klosterareal zwischen Kantorey und Schafstall einen Platz gefunden, wie ihre ältere Schwester, die Graue französische Renette, ein echter Zisterzienserapfel!

© H. W. Göhmann 2005


Literatur

Aigner, K.: Äpfel und Birnen, München 1993

Fischer, H.: Mittelalterliche Pflanzenkunde, München 1929 Grimm, Deutsches Wörterbuch Bd. 2, Stichwort: Borsdorferapfel

Hennebo, D.: Gärten des Mittelalters, München und Zürich 1987

Lexikon für Theologie und Kirche Bd. 7, Stichwort: Morimond, Freiburg 1962

Schiller, J.C.: Die Baumzucht im Großen, Neustrelitz 1795

Schneider, A.: Die Zister­zienser - Geschichte, Geist, Kunst, 19772

Sternschulte, A. u. Scholz, M.: Obst in Westfalen, Münster­-    Hiltrup 1990

Zisterzienser, Die, Hrg. Sydow von Linden, Becking, Stuttgart-Zürich 19912

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