Kloster auf Zeit - Zeit im Kloster

Was machen eigentlich lutherische Christenmenschen, was macht eine lutherische Landeskirche mit der Herausforderung der auf ihrem Gebiet vorhandenen ehemaligen Klöster? Hat nicht Luther das Klosterdasein als Heilsweg und auch als dauerhafte Lebensform nachdrücklich abgelehnt? Kann es dann ein evangelisches Kloster geben? So fragen viele Zeitgenossen.

Die hannoversche Landeskirche hat für die Antwort auf diese herausfordernde Frage eine wichtige Hilfestellung erhalten indem die Landesherren der Reformationszeit den Vorschlägen Martin Luthers und Philipp Melanchthons gefolgt sind und die damals vorhandenen Klöster in Schulen oder Damenstifte umgewandelt haben.
Amelungsborn wurde so 1569 eine klösterliche Schule zur Ausbildung künftiger Theologen im Herzogtum Braunschweig-Wolfenbüttel.

Die herausfordernde Frage stellte sich erneut, als nach dem 2. Weltkrieg die schwer zerstörte Klosterkirche wieder aufgebaut werden musste, und die Entscheidung gegen einen auch diskutierten Abriss fiel. Und sie traf auf Zukunftsvorstellungen des geistlichen Vizepräsidenten des Landeskirchenamtes, Prof. Dr. Christhard Mahrenholz, der eine Neubelebung des Klosters anstrebte. Nicht aus "Altertümelei", sondern um eine seiner Ansicht nach zu Unrecht in Vergessenheit geratene legitime Lebens- und Arbeitsstruktur der lutherischen Kirche für neue und zukunftsweisende kirchliche Aufgaben wieder zu entdecken.
Der Kirchensenat der ev.-luth. Landeskirche Hannovers übertrug  Christhard Mahrenholz 1960 die Prälatur des Klosters Amelungsborn. Abt Mahrenholz stellte sich dieser Aufgabe - gegen nicht wenige Widerstände seiner Zeit.


Heute kann festgestellt werden:

„Die wieder hergestellte Kirche ist von großer Wucht und Schönheit und ‚predigt’ in ihrer Weise. Die bauliche Gestaltung der Anlagen und der Klostergebäude ist ein wichtiger Teil der Wirkung des Klosters. Es ist eine Freude, dass in den letzten Jahren neben den Bettenhäusern das Bibliotheksgebäude in seiner einfachen Schönheit aus dem alten Eishaus hergestellt werden konnte und nun mit eigenen Beständen und Büchern aus verschiedenen aufgelösten Bibliotheken eingerichtet wird. Dass die Umrisse der alten Klausur, auch wenn der Kreuzgang verloren ist, wieder sichtbar sind, und dass die Brunnenschale wieder ihren Ort hat, ist ein großer Gewinn.
Es ist anzuerkennen, dass in Amelungsborn die Herausforderung, die sich aus ihrer Geschichte ergibt, schon äußerlich mit großer Umsicht aufgenommen worden ist.“ (Abt Hirschler im Visitationsbericht 2002)

Inhaltlich vertritt Amelungsborn das Konzept eines „Klosters auf Zeit“. Es sieht darin die angemessene Form in der das Zisterziensererbe von evangelischen Christen fortgeführt werden kann.

Das heißt, der Abt und die Mitglieder des Konventes und der Familiaritas sind keine Mönche, sondern Brüder in Christus, die an ihren jeweiligen Wohnorten ihrer täglichen Arbeit nachgehen, für ihre Familien sorgen … eben ihr Leben in der Welt verantwortlich gestalten.
Die Mitglieder des Konventes tun dies in ihren Berufen als Pastoren, Superintendenten, Landessuperintendent oder Mitarbeiter im Landeskirchenamt; die Familiaren in den ihren als Ärzte, Lehrer, Juristen, Polizeibeamte, Hochschullehrer, Forstbeamte, Banker, Steuerberater, Krankenhausmanager, Unternehmer und anderen.

Und zu ihrer verantwortlichen Lebensgestaltung gehört für sie eben auch, dass sie sich bis zu elfmal im Jahr für ein langes Wochenende im Kloster zusammenfinden. Wenn man bedenkt, dass insbesondere die Brüder der Familiaritas aus allen Ecken der Bundesrepublik anreisen, dann wird deutlich, dass deren persönlicher Einsatz sehr groß ist. Dabei wird dies  keineswegs als Last empfunden. Vielmehr wird die Zeit im Kloster als großer persönlicher und geistlicher Gewinn gewertet. Die Gemeinschaft der Brüder untereinander, die gemeinsame geistige Arbeit an biblischen Texten ebenso wie an den Fragen unserer Gegenwart, die Zeit der Stille, ganz besonders aber die Tagzeitengebete sind von einer großen, die Persönlichkeit des Einzelnen nachhaltig bestimmenden Kraft.


Die täglichen vier Stundengebete (Mette, Mittagsgebet, Vesper und Komplet) stellen den geistlichen Kern des Klosters Amelungsborn dar.  „Dem Gottesdienst ist nichts vorzuziehen“. Dieses Gebot - von Benedikt von Nursia bereits um 529 n.Ch.niedergelegt -  führt Prof. Dr. Richard Toellner, der langjährige Senior der Familiaritas, so aus:

„Das Gebet als reiner, absichtsloser Gottesdienst, das Gebet als Antwort auf die Existenz Gottes, das Gebet als Bekenntnis der lebendigen Wirklichkeit des dreieinigen Gottes, das Gebet, das daher in erster Linie Anbetung, Lobpreis und Dank und erst in zweiter Linie Fürbitte und Bitte ist, dieses Gebet begegnet in einer Welt, in der alles, was getan wird, sich durch seine Funktion, seinen Nutzen ausweisen, in der der Täter sich durch Leistung und Erfolg legitimieren muß,  Unverständnis und Argwohn und ist als Lebensraum nicht nur dem säkularisierten, sondern auch dem protestantischen Bewußtsein fast völlig entschwunden. Im Vorrang des Gott anerkennenden, des Gott bekennenden, des Gott preisenden und Gott dankenden Gebets liegt die Aufgabe der Familiaritas. Es ist das Kennzeichen ihrer Existenz, die ihr gegeben und geschenkt wurde, die sie nicht gemacht und gewählt hat. Sie hofft und betet, daß sie durch ihre Lebensform des Gebetes stellvertretend in der Kirche und für die Welt Zeugnis geben kann von dem Gott, der in seinen Sohn der Welt glaube, Hoffnung gibt.“
(Toellner, in: Kloster Amelungsborn 1135 – 1985, hrsg. 1985 im Eigenverlag von Gerhard Ruhbach und Kurt Schmidt-Clausen, S. 93f.)

Die dargestellte grundlegende Vorrangstellung des gottesdienstlichen Lebens im Kloster entspricht Luthers Vorstellung von der Freiheit eines Christenmenschen, die aus der zugesprochenen Gerechtigkeit allein aus Glauben entspringt und die Grundlage für den „ Gottesdienst im Alltag der Welt“ – das lutherische Berufsverständnis – ist.  (Abt Hirschler im Visitationsbericht 2002)

Die landeskirchliche Aufgabe des Klosters Amelungsborn wurde vom Kirchensenat der ev.-luth. Landeskirche Hannovers konkretisiert. Danach wirkt es an der Arbeit der Landeskirche mit durch Veranstaltungen, die

  • der geistlichen Sammlung dienen,
  • in Besinnung auf die Grundlagen des Glaubens für den Christendienst in Familie, Beruf, Kirche und Welt zurüsten und
  • den Aufbau der Gemeinde und die Mitarbeit in Gemeinde und Kirche fördern.

So konnte und kann jeder von uns, der dem Kloster verbunden ist, feststellen:
„Als Kloster auf Zeit bieten wir eine Stätte der Einkehr, in der Menschen neu nach Gott fragen und miteinander bedenken, wie aus dem christlichen Glauben heraus religiöse und ethische Werte so vertreten und gelebt werden können, daß sie auf eine zunehmend orientierungslose Gesellschaft überzeugend wirken.“


Mehr noch:
"Kommen wir in Amelungsborn zusammen, so halten wir Einkehr an einer Gott geheiligten Stätte, aber wir verkriechen uns nicht vor den Geschehnissen und Herausforderungen unserer Tage. Wir sind hier, um in der Gemeinschaft der Brüder den Weg Jesu zu den Menschen zu gehen, das Bekenntnis zu Christus zu leben und uns für den Dienst der Liebe zu stärken.
Sammlung und Sendung gehören zusammen wie Ein- und Ausatmen."
(Abt Drömann, Abtsbericht 2002)

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Kloster Amelungsborn
Kloster Amelungsborn

 

Abt Mahrenholz
Abt Mahrenholz

 

Neue Bibliothek und Brunnenschale
Neue Bibliothek und Brunnenschale

 

Abt Eckhard Gorka in der Klosterkirche unter der Statue des hl. Bernhard
Abt Eckhard Gorka in der Klosterkirche unter der Statue des hl. Bernhard

 

Die Stundengebete sind im Evangelischen Gesangbuch ausgedruckt: 783 Mette, 784, Mittagsgebet, 785 Vesper, 786 Complet (Nicht alle Gliedkirchen der EKD!)
Die Stundengebete sind im Evangelischen Gesangbuch ausgedruckt: 783 Mette, 784 Mittagsgebet, 785 Vesper, 786 Complet (Nicht alle Gliedkirchen der EKD!)

 

D. Horst Hirschler, Abt zu Loccum, Landesbischof i.R. und Altabt Dr. Drömann an der Orgel der Klosterkirche (2004)
D. Horst Hirschler, Abt zu Loccum, Landesbischof i.R. und Altabt Dr. Drömann an der Orgel der Klosterkirche (2004)