Neidköpfe im gotischen Chor

Neidköpfe

Nur der aufmerksame Besucher der Amelungsborner Klosterkirche wird im gotischen Chor ein wenig bekanntes und selten beschriebenes Architekturelement entdecken, das seit der Gotik bis zur Renaissance als zierend und zugleich zauberkräftig galt und als Neidkopf bezeichnet wird (von althochdeutsch nid, d.i. Feindschaft, Hass).

Die nur handteller- bis kopfgroßen Neidköpfe, aus Holz oder Stein gearbeitet, tragen menschliche Züge oder solche von Tieren oder Fabelwesen in fratzenartiger Verfremdung, um schreckhaft, abscheulich oder spöttisch auf den Betrachter zu wirken. Man findet sie man an Giebeln, Mauern, Eckbalken oder Säulen historischer Stadthäuser, in und an Sakralbauten.

Neidköpfe sind tradiertes Kulturgut. Ihre schon in heidnischer Zeit nachgewiesene Bedeutung als zauberkräftiges Schutz- und Abwehrmittel gegen böse Geister, persönliche und übernatürliche Feinde und Mächte blieb nicht nur im Volksglauben des christianisierten Mittelalters und der frühen Neuzeit erhalten, sondern galt offensichtlich selbst im kirchlichen und klösterlichen Bereich als unverzichtbar.

Die Steinmetze, die den gotischen Chor der Amelungsborner Klosterkirche gestalteten, haben insgesamt 7 Neidköpfe so platziert, dass von ihren geglaubten Wirkungen der gesamte Raum erfasst wird. Zwar werden die Rippen der Chorgewölbe vor den äußeren Seitenschiffswänden und der Ostwand von Konsolen getragen, die in der Regel unter einem vielgliedrigen Profil Blattwerkschmuck tragen. An denen der Ostwand aber sind statt des Blattwerks männliche und ein weiblicher Neidkopf angebracht. Zwei weitere Köpfe an den chornahen Mittelschiffspfeilern haben wuchernde Schnurrbarte, die sich mit den Ranken auf den Kapitellbändern vereinigen. Über dem Pfeilerkranz des südlichen Mittelschiffspfeilers tritt der Kopf eines Hundes hervor.
HWG 2007

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